Ein Erlebnis der besonderen Art: Progressive Mütter in den sechziger oder siebziger Jahren des 20. Jahrhunderts waren vielleicht nicht erbaut, wenn sie mit einem selbstgebackenen Kuchen, einem Geschenk, unbedingt aber einem Blumenstrauss für „Mutti“ am Muttertag, traditionell dem zweiten Sonntag im Mai, überrascht wurden.

Alle anderen aber liebten den Muttertag, weil er für sie mit einem besonderen Erlebnis verbunden war. Sie konnten es nicht erwarten, die liebevollen Anstrengungen ihrer Kleinen zu honorieren. Die Schweiz war sich in unerschütterlicher Neutralität hier so einig, dass man sich ebenfalls auf die Tradition des Muttertages besann. Den Eidgenossen ersparte die Rückbesinnung des Muttertages auf die Herkunft aus den USA gewissermassen die Politisierung. Der Gedenktag wurde erstmals im Jahr 1872 in Boston von Julia Ward Howe ins Leben gerufen und dann als „Memorial Mothers Day Meeting“ wieder 1917 in Grafton gefeiert. Die Begründerin, Anna Jarvis, stammte aus den Methodistenkreisen in West Virginia, USA und hatte diesen frühen Muttertag zur Ehrung ihrer eigenen Mutter initiiert.

Danke, Mami! Danke, Grosi!
Jedes Jahr freuen sie sich über das vielerorts am Muttertag übliche Frühstück am Bett und einmal einen Anlass, an dem sie selbst verwöhnt werden, Geschenke erhalten, im Mittelpunkt stehen und sich alle Aufmerksamkeit nur auf sie richtet – Mütter und Grossmütter. Die Würdigung von Mutter und Mütterlichkeit durch Blumen und Geschenke, den Titel „World’s best Mummy“, kann schliesslich jede für sich im Kleinen, in ihrer eigenen Familie am Muttertag erringen – oder auch nicht. Die einen feiern ihn, die anderen nicht. Ob man daraus ein Erlebnis machen will und wie auch immer man ihn begehen will, ist der Muttertag doch für viele Menschen einfach Gelegenheit, „Danke“ zu sagen, an die Mütter, Grossmütter und Tanten, und verbunden mit einem Blumenstrauss ein Geschenk zu überreichen. „Ich bin ihr unendlich dankbar für alles“, möchten viele seinem Mami auf diese Weise am Muttertag sagen. „Als hätte ich Geburtstag“, sagen hingegen viele Mamas ihrerseits, „ich fühle mich am Muttertag als etwas ganz Besonderes“, und geniessen die Aufmerksamkeit, die Geschenke und das mit dem Muttertag verbundene besondere Erlebnis.

Mami, ha di lieb
In den zwanziger Jahren des 20. Jahrhunderts kamen die Floristik und die Konfiserie darauf, dass man „Mami, ha di lieb“ am besten durch die Blume, eine Süssigkeit oder ein gemeinsames Erlebnis sagen konnte. Der Muttertag wurde mehr und mehr propagiert. Blumenbouquets und Süssgebäck, am liebsten selbstgemacht – das ist seither unter den Geschenken, die am Muttertag überreicht werden, das häufigste. Oder man schenkt dem Mami ein Erlebnis, geht mit ihm aus, lädt zum Essen oder zum Brunch oder schenkt eine kleine Aufmerksamkeit. Denn es gibt viele Formen, „Mami, ha di lieb“ zu sagen – und eigentlich gäbe es das ganze Jahr über Gelegenheit…

Fest der Floristen und Konditoren
Wer ein wenig genauer hinschaut oder wer mit der kommerziellen Seite von Fest- und Gedenktagen, der Industrie des Geschenks und des Erlebnisses, vertrauter ist als andere, weil sich diese Traditionen von Festtag und Kommerz bereits seit Jahrhunderten historisch verfolgen lassen, hat die Hintergründe auch hier bald erkannt. Im katholischen Italien etwa – und vielleicht auch in der italienischen Schweiz – heisst der Muttertag, an dem Geschenke überreicht werden, der mit einem gemeinsamen Erlebnis begangen wird, „Festa della mamma“. Doch es hat sich noch eine andere Bezeichnung eingeschlichen, die als Untertitel beständig mitläuft und das Erlebnis Muttertag und sein Geschenk-Übermass auf die schnöde Welt des Mammons reduziert. „Festa di Fioristi e di Pasticceri“, wie die Italiener sagen, oder: Fest der Floristen und Konditoren.

Das Erlebnis des Kaufrauschs und der betriebene Aufwand nehmen stetig zu, die Zahl der Geschenke wächst, sodass der Muttertag in Hinblick auf die Kommerzialisierung gleich nach Weihnachten kommt. Ho ho ho!