Clemens Arvay - Foto: Lukas Beck

Clemens Arvay – Foto: Lukas Beck

Der österreichische Biologe und Pflanzenwissenschafter Clemens Arvay beschreibt in seinem Buch «Der Biophilia-Effekt», wie heilsam Wald und Gärten nicht nur für unsere Psyche, sondern auch für unsere Gesundheit sind. Bäume und Sträucher stärken unser Immunsystem, senken den Blutdruck und wirken als Krebsprophylaxe.

Dipl.-Ing. Clemens G. Arvay, Biologe und Buchautor, studierte Landschaftsökologie und angewandte Pflanzenwissenschaften in Wien und Graz.

von Kurt Aeschbacher

Fortsetzung des Interivew. Hier gehts zum ersten Teil.

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Das neue Buch von Clemens G. Arvay

Das heilende Band zwischen Mensch und Natur

Unser Körper endet nicht an der Hautoberfläche: Mensch und Natur sind tiefgreifend miteinander verbunden. Nach seinem Bestseller „Der Biophilia-Effekt“ tritt Clemens G. Arvay nun den wissenschaftlichen Beweis für die Heilkraft der Natur an: Auf welche Weise stärken Pflanzenstoffe im Wald unser Immunsystem? Welche Anti-Krebs-Wirkstoffe aus der Natur könnten auch in Medikamenten eingesetzt werden? Welche Rolle spielen Tiere in dem großen Organismus Erde, zu dem auch wir gehören? Und was tragen Begegnungen mit Tieren zur Herzgesundheit bei?
Arvay schildert seine Erkenntnisse als Biologe und zieht weltweit führende Forscher zu Rate. So etabliert er die neue Wissenschaft der Ökopsychosomatik, die unser Verständnis von uns selbst und unserer Verbindung mit der Umwelt revolutioniert.

Lässt sich das wissenschaftlich untermauern?
Die Heilwirkungen des Waldes sind vielfach bewiesen. Zum Beispiel wurden grosse Gruppen von Versuchspersonen in den Wald geschickt, um dort spazieren zu gehen. Genauso viele wurden in die Stadt und an neutrale Orte geschickt und bewegten sich dort auf dieselbe Weise. Aber nur der Wald führte zu den messbaren positiven Veränderungen im Blut. Japanische Forscher hatten eine grandiose Idee: Sie isolierten die wichtigsten Terpene aus der Waldluft und luden Versuchsteilnehmer zu Übernachtungen in Hotels ein. Die Luft wurde in der Hälfte der Zimmer über Nacht unbemerkt durch einen Zerstäuber mit Baum-Terpenen angereichert. Siehe da: Die Personen, die dort schliefen, wiesen dieselben positiven Veränderungen auf, die auch im Wald festzustellen waren. Sie hatten zum Beispiel mehr natürliche Killerzellen und Anti-Krebs-Proteine im Blut und diese waren sogar aktiver als davor. Die anderen, die nachts keine Terpene atmeten, wiesen keine Veränderungen auf. Es gibt eine grosse Anzahl solcher Studien, durch welche die Heilwirkungen der Bäume abgesichert sind.

Ist es nicht vermessen, beim vorliegenden Forschungsstand den Wald als Heilmittel, vor allem bei einer bedrohlichen Krankheit wie Krebs, zu deklarieren?
Waldmedizin ist keinesfalls eine Alternative zu gängigen schulmedizinischen Behandlungen, sondern eine Ergänzung. Der Begriff «Komplementärmedizin» ist hier sehr treffend: Bäume und Wälder können einen sinnvollen Beitrag in der Vorbeugung und Behandlung von Krankheiten leisten. Sie sind aber kein Ersatz für Arztbesuche.

Lässt sich eine solche Wirkung auch klinisch absichern?
Die Wirkung von Terpenen aus Pflanzen wurde in Laborversuchen vielfach abgesichert. Es laufen erste klinische Studien an Patienten, aber da müssen wir uns noch ein paar Jahre gedulden, bis wir die Ergebnisse erfahren werden. In Japan ist die Waldmedizin bereits durch das staatliche Gesundheitswesen anerkannt.

Geht es dabei um Heilung oder Vorsorge?
Die Heilkräfte der Natur unterstützen den Körper dabei, sich durch seine eigenen, naturgegebenen Mittel gesund zu erhalten. Sie unterstützen aber auch die Selbstheilungskräfte, wie wir aus zahlreichen Studien  wissen. Deswegen können wir Waldmedizin als vorbeugende Massnahme betrachten, aber auch als eine Unterstützung im Krankheitsfall. Sie kann aber, wie gesagt, kein Ersatz für medizinische Therapien sein.

Lässt sich belegen, dass Menschen, die im Wald oder am Waldrand wohnen, weniger häufig an Krebs erkranken?
Statistische Untersuchungen zeigen einen eindeutigen Zusammenhang zwischen Bewaldung und Krebssterblichkeit. In bewaldeten Gebieten versterben weniger Menschen an Krebs als in unbewaldeten. Bahnbrechend sind die Ergebnisse einer kanadischen Studie: Je mehr Bäume rund um den Wohnort eines Grossstadtbewohners wachsen, desto mehr sinkt dessen Gefahr, an Krebs oder Herz-Kreislauf-Erkrankungen zu leiden. Durch aufwendige statistische Verfahren konnte bewiesen werden, dass es tatsächlich die Bäume sind, die diesen Effekt haben. Das faszinierende Ergebnis: Wenn der durchschnittliche Grossstadtbewohner nur zehn zusätzliche Bäume rund um seinen Wohnblock hätte, würde das einer Verjüngungskur um sieben Jahre entsprechen. Wissenschafter überall auf der Welt haben Beweise dafür angehäuft, dass es einen deutlichen Zusammenhang zwischen Bäumen und menschlicher Gesundheit gibt.

Wirkt die Natur auch auf andere Erkrankungen wie beispielsweise Bluthochdruck?
Studien zeigen, dass die blosse Anwesenheit im Wald zu einer Senkung des Blutdrucks führt, aber auch zu einer Senkung des Blutzuckerspiegels bei Diabetes-Patienten. Auch die Stresshormone gehen deutlich zurück.

Welche «Wunder» vollbringt der Wald sonst noch?
Der Aufenthalt im Wald und vor allem in lichten Baumbeständen aktiviert den Parasympathikus. Das ist der Nerv der Ruhe. Dieser übersetzt die Sinnesreize des Waldes in die Sprache der Organe. Ich nenne das einen «öko-psychosomatischen Mechanismus». Der Nerv der Ruhe wirkt chronischen Stressreaktionen entgegen, die aus sozialen oder beruflichen Gründen entstehen können. Sogar Verdauungsbeschwerden können sich dadurch bessern. Wald wirkt als Antidepressivum sowie gegen Burnout. Die heilsame Wirkung von lichten Baumbeständen bei Angst- und Panikerkrankungen ist ebenfalls nachgewiesen.

Der Ausdruck «Biophilia» geht ja auf den Psychoanalytiker und Philosophen Erich Fromm zurück. Wie beschrieb er diesen Effekt?
Erich Fromm sagte, in uns Menschen wirkt eine «biophile Kraft». Das ist die Hingabe zu den Lebens- und Wachstumsprozessen in der Natur. Die Aktivität der Biophilia steht mit Leben und Gesundheit in Verbindung. So wie Sigmund Freud sah Fromm in der Psyche des Menschen auch einen Todestrieb. Er sprach von «nekrophilen Kräften», die er für Gewalt, Hass und Krankheit verantwortlich machte. Die Biophilia muss die Oberhand behalten, wenn der Mensch gesund bleiben will. Sie ist Ausdruck des Lebens.

Wie lange muss man sich im Wald aufhalten, um von seiner Heilkraft zu profitieren?
Schon kurze Walspaziergänge haben in Feldversuchen positive Wirkungen gezeigt. Ausgedehnte Waldspaziergänge wirken bis zu sieben Tage nach. Waldmediziner empfehlen, zwei Tage pro Monat in einem
Waldgebiet zu verbringen, weil dann die positiven Effekte auf das Immunsystem dauerhaft erhalten bleiben.

Ist es egal, was man im Wald macht, um von diesen Wirkungen zu profitieren?
Man braucht im Wald nur anwesend zu sein, um mit den gesunden Substanzen und Eindrücken in Kontakt zu kommen. Leichte Spaziergänge sind empfehlenswert, man muss nicht zwingend Sport machen. Das Sein im Wald und das Einatmen der Waldluft reichen aus.

Werden solche Wald- oder Gartentherapien bereits angewendet?
Überall auf der Erde gibt es bereits Kliniken, die Gartentherapie anwenden. In der Schweiz ist das zum Beispiel an der Rehaklinik Zurzach der Fall. Aufzeichnungen von Ärzten zeigen, dass Gartentherapie den Einsatz von Schmerzmitteln, Antidepressiva und Blutdruckmedikamenten effektiv senkt. In Japan ist auch die Waldmedizin bereits Teil des Gesundheitswesens und wird durch die öffentliche Hand finanziert.

Wirkt auch der heimische Garten heilend. Und zwar nicht nur psychisch, sondern auch physisch?
Sofern wir unsere Gärten nicht als sterile Rasenflächen anlegen, bergen auch sie den Biophilia-Effekt. Bäume und Sträucher im Garten geben Terpene ab und die kultivierte Natur wirkt sich über die Aktivierung des Nervs der Ruhe aus. Ein naturnaher Garten wirkt ähnlich wie der Wald auf uns ein. Ich habe zum Beispiel meinen Garten nach dem Vorbild des Ökosystems «Wald» angelegt.

Wie sind Sie persönlich mit all diesen Erkenntnissen bekannt geworden?
Der Wald hat mich schon immer fasziniert. Während meines Biologiestudiums habe ich mich besonders für die Mensch-Natur-Beziehung interessiert. Dabei stiess ich auf unzählige Beweise für den Biophilia-Effekt und dachte mir, ich muss unbedingt Bücher darüber schreiben. Ich möchte einen Beitrag dazu leisten, dass die Medizin der Zukunft den Menschen wieder ganzheitlich betrachtet.

Werden Sie trotz Ihrer wissenschaftlichen Absicherung von vielen als esoterischer Spinner betrachtet?
In Buchhandlungen finde ich meine Bücher in der Tat immer wieder im Esoterik-Regal. Es kommt auch manchmal vor, dass ich als Esoteriker abgestempelt werde – aber immer nur von Leuten, die meine Bücher nicht gelesen haben. Wer der Natur heilsame Kräfte zuschreibt, scheint im dritten Jahrtausend gleich unter Generalverdacht zu stehen, ein naiver Esoteriker zu sein.

Ärgert Sie das?
Die Mensch-Natur-Beziehung wird von vielen Menschen als spirituelles Thema wahrgenommen, weil wir nicht nur Kulturwesen, sondern auch Naturwesen sind. Die Natur ist ein Stück unserer Identität und das erzeugt bei vielen von uns das Gefühl des Geheimnisvollen. Sowas wird oft als esoterisch wahrgenommen. Darüber ärgere  ich mich nicht, aber ich lege stets grossen Wert darauf, festzuhalten, dass es sich beim Biophilia-Effekt um wissenschaftliche Fakten handelt. In meinen Büchern habe ich die wissenschaftlichen Quellen penibel dokumentiert – sogar mit Seitenangaben. Ich bin also kein Esoterik-Autor.

Herzlichen Dank für das spannende Gespräch!

Titelbild: Lukas Hansen, flikr.com