Traumstrände von karibischer Schönheit und wild-zerklüftetes Bergland, stille abgelegene Hirtendörfer und moderne Städte, tiefste Canyons und höchste Dünen und ein Meer von Farben und Düften – die geschichtsträchtige Insel ist voller Zauber und Geheimnisse.

VON KARIN BREYER

«Auf Sardinien zu leben ist das Beste, was sich ein Mensch je wünschen kann: 24000 Kilometer Wälder, Felder, traumhafte Küsten und kristallklares Wasser – dies sollte sich der liebe Gott als Paradies zum Beispiel nehmen» – diese Liebeserklärung an die Insel entstammt der Feder des genuesischen Liedermachers Fabrizio de Andrè (1940–1999). In der Tat verströmt Sardinien einen Zauber, dem man sich unschwer entziehen kann. Allein die landschaftliche Vielfalt ist überwältigend: die geglückte Verbindung von Bergen, glasklarem Meer und der 1800 Kilometer langen Küste mit unberührten, herrlichsten Buchten und grandiosen weiss-schimmernden  Sandstränden vor rötlichen Granitbuckeln. Allen voran die 55 Kilometer lange Costa Smeralda im Norden, jene edelste Ferienadresse Europas, wo sich Stars und Sternchen treffen, vorzugsweise im Hafenort Porto Cervo mit seinen millionenschweren Luxusjachten und -hotels. Ihre Traumstrände – bezaubernd: Cala Liscia Ruja, Cala di Volpe – und ein Meer voller Smaragden sind aber nicht nur den Reichen und Mächtigen vorbehalten… Und das Urlaubsglück lauert noch an unzähligen anderen Orten…

Die romantische Stadt Bosa

Ein kleines Naturparadies ist der La-Maddalena-Archipel im äussersten Zipfel des Nordens mit seinen 62 kleineren und grösseren, meist felsigen Inselchen – unvergesslich, eine Mini-Kreuzfahrt (Infos: www.flottadelparco.net). Unvergesslich auch der Tripp zur nahen Halbinsel Capo Testa: Meerleuchten und bizarr-fantasievolle Felsen, wohin das Auge schweift. Sardinien brilliert mit allerschönsten Altstädten: An der Westküste entzücken beispielsweise das romantische Bosa und Alghero, das «kleine Barcelona». Wer das noch urwüchsige Sardinien sucht, fährt ins Inselinnere, zum Beispiel in die wild-faszinierende Berglandschaft des Gennargentu-Gebirges: atemberaubende unberührte Natur und tiefe Canyons, unterirdische Grotten und Ausgrabungsstätten. Einfach mal eine Hauptstrasse verlassen,  schmale Nebensträsslein wählen, sich in ein paar Bergdörfer «verirren», in einer Bar Espresso trinken und mit den Sarden ins Gespräch kommen. Zum Beispiel in Aritzo, Fonni oder Mamoiada. Letzteres ist weltweit bekannt für seinen Cannonau-Wein und den düster-archaischen Karneval. Überhaupt spielen Feste und Traditionen auf der Insel eine grosse Rolle, listet doch der Festtagskalender rund 1000 traditionelle Feste auf. Die Wahrscheinlichkeit ist also gross, dass irgendwo auf der Insel gerade ein Fest oder eine Prozession ist. Ein weiteres Insel-Highlight: die 7000 Nuraghen (zyklopische Steintürme der bronzezeitlichen Nuraghen-Kultur),  die überall verstreut auf der Insel gen stahlblauen Himmel ragen – sind sie doch rätselhafte Zeugen der bewegten sardischen Geschichte.
Nach Sizilien ist Sardinien die grösste italienische Insel, von Nord nach Süd sind es 270 Kilometer, von West nach Ost über 150 Kilometer. Nicht Neapel oder Rom sind der sardischen Hauptstadt Cagliari näher, sondern Tunis (ca. 180 Kilometer). Von den 1,6 Millionen Bewohnern leben ein knappes Drittel in der Südprovinz Cagliari, die Insel ist also recht dünn besiedelt. Sardinien hat ungeheuer viel zu bieten! Je nach Gusto kann man per (Miet)Auto, in geführter Kleingruppe oder mit dem Mountainbike (Sardinien ist ein Dorado für Biker!) das reiche Erbe der Insel entdecken. Ob Aktivurlaub – wandern, klettern, surfen, reiten, Sightseeing – oder lieber Dolce far Niente am Strand, alles ist möglich. Ausgesprochen reizend ist es, auf Schusters Rappen auf einem der vielen Wanderwege Körper und Geist zu beflügeln, herrlich das wilde Karstgebirge des Supramonte oder das gebirgige Hinterland der Ogliastra und der Barbagia, entlang der Küste fasziniert insbesondere der Sentiero Selvaggio Blu (für Ambitionierte). Und nicht zuletzt ist es die legendäre sardische Gastfreundschaft, die einen immer wieder überwältigt.

Die Insel ist zu gross, um sie von einem einzigen Ausgangspunkt gänzlich zu erkunden. Wer eine Woche Zeit hat, tut gut daran, sich auf eine Region zu beschränken – mit dem Wissen, dass man ein weiteres Mal hierher reist – so wie es die meisten tun. Als perfekten Start bietet sich der Süden an, ist er doch eine interessante Mischung aus nahezu unberührter Natur, pulsierender mediterraner Stadtkultur, Traumstränden und geschichtsträchtigem, fruchtbarem Boden. Das Tor ist Cagliari, die Capitale, wie die älteren Sarden zu sagen pflegen. Sie ist wirtschaftliches, politisches und kulturelles Zentrum Sardiniens.

Cagliari und die Kornkammer der Insel
Von azurblauem Meer, Salinen, Lagunenseen und dem Felsmassiv Sella del Diavolo umzingelt, bietet Cagliari eine atemberaubende Skyline. Man sagt, sie zähle zu den schönsten Metropolen des Mittelmeers. Die 800 v.  Chr. von den Phöniziern gegründete Stadt birgt bedeutende Schätze, zwei Tage Besichtigungsprogramm lohnen
unbedingt. Beinahe alle Sehenswürdigkeiten und Museen liegen in der Altstadt, die man am besten zu Fuss erobert. Das Castello-Viertel, von den beiden pisanischen Wehrtürmen Torre di Pancraczio und Torre dell’Elefante (zu besteigen) und einer Stadtmauer umrahmt, bildet das historische Zentrum. Architektonische Highlights: der Duomo Santa Maria, der Palazzo Regio und Palazzo di Città (altes Rathaus). Zweifelsohne kultureller Höhepunkt: die Cittadella (über der Piazza Arsenale) mit ihren vier Museen. Die Bastion Saint Remy, das Römische Amphitheater, der Botanische Garten (eine Oase der Stille) und die Kirche Bonaria sind weitere Kleinode. Cagliari ist das Shoppingzentrum schlechthin, garantiert fündig wird man in der Via Manno, Largo Carlo Felice und im Marinaviertel. Tolle Bars, Cafés und Restaurants gibt es in den Gassen zwischen Castello und Via Roma. Hier entfaltet sich eine wunderbare gastronomische Vielfalt, mit authentischer sardischer Küche: Antipasti mit Schinken, Hartwurst, Oliven, Schafskäse, gegrilltem Gemüse und Hirtenbrot; der erste Gang besteht dann aus Pasta oder Risotto, der zweite Gang aus Fisch- oder Fleischgericht, nicht fehlen darf der lokale Rotwein. Geheimtipp: die Trattoria Da Lillicu in der Via Sardegna 78. Traditionsreichste Adresse der Stadt, wo schon Grazia Deledda und D.H. Lawrence zu Gast waren: das Antico Caffè.

An die knapp 160000 Metropole schliesst das fruchtbare Campidano, die Kornkammer der Insel – eine flache Ebene, etwa 100 Kilometer lang vom Golf von Cagliari bis zum Golf von Oristano, bis zu 25 Kilometer breit –, wo bereits die Römer erfolgreich Oliven, Wein und Korn anbauten. Und noch heute gedeihen hier üppig und verschwenderisch Zitrusfrüchte, Oliven, Mandeln und Wein. Zu den gefragtesten Olivenölen Sardiniens zählt zweifelsohne jenes von Dolianova, inmitten der fruchtbaren Region gelegen, mit grandiosem Blick auf den Punta Serpedi des Sorrabus- Gebirges. Das «grüne Gold» wird von mehreren Ölmühlen verarbeitet – ein echtes Erlebnis, der Prozess der Herstellung. Das Olivenölmuseum lädt zu Besichtigungen und Verköstigungen. Neben Oliven triumphiert das Gebiet mit der grössten zusammenhängenden Weinbaufläche Sardiniens und ausgezeichneten Qualitätsweinen, allen voran der meist angebaute Rotwein, der Cannonau. Private Weingüter, etwa Argiolas im pittoresken Serdiana, laden zu Degustationen, wo man legendäre Spitzenweine geniessen kann, etwa den perfekt ausgewogenen Turriga oder den süffigen Nuragus. Eine weitere Berühmtheit im Campidano ist San Sperate – ein Abstecher in dieses lebendige Künstlerdorf mit seiner modernen Kunstszene darf auf keinen Fall fehlen. Inspiriert von dem Bildhauer Pinuccio Sciola, entstanden 1968 die ersten kuriosen Wandmalereien, die Murales – über 300 sind heute an den Hauswänden zu bestaunen. Auch im berühmt- berüchtigten Hirtendorf und einstiger Banditenhochburg Orgosolo, im Zentrum des Supramonte, gibt es über 350 ausdrucksstarke Murales.

Murales, bekannt durch die Wandmalereien

Karibikflair pur
Wer sich von Cagliari Richtung Südosten aufmacht, erreicht die Costa Rei – im wahrsten Sinne des Wortes die Küste des Königs mit den allerfeinsten Sandstränden vom Capo Ferrato bis zur Cala Sinzias. Wer von Cagliari  urch die weite Binnenlandschaft den Süden ansteuert, erreicht in einer halben Stunde Pula – jetzt wird es so richtig spannend. An den reizenden Touristenort schmiegen sich ewige Sandstrände mit Dünen, Pinien und Eukalyptus, im nahen Sulcis-Iglesiente-Gebirge, in den Bergen von Arcosu schlägt wohl jedes Wanderherz höher (teils markierte Wege). Unmittelbar vor Pula erstreckt sich die antike Stadt Nora, die einst wichtigste phönizische Siedlung und heute eine der grössten Attraktionen der Insel. Das unscheinbare kleine Kirchlein vor dem Eingang ist die wichtigste Pilgerkirche: Alljährlich Anfang Mai findet hier die Sagra di Sant’Efisio statt, die bedeutendste Prozession Sardiniens. Unvergesslich, die Nacht der Poeten im Juli und August im römischen Theater von Nora mit Meerblick!

Hohe Dünen, traumhaftes Badeparadies und viel Erholung, Stalagmiten und Nachtleben – das ist die Costa del Sud oder Südküste, die sich von Santa Margherita di Pula bis hinter das Kap Teulada erstreckt, noch weitgehend unberührt und unverbaut. Mit den beinahe endlosen hellen Traumstränden, die ins türkisblau bis smaragdgrün glitzernde Meer münden, und atemberaubenden Ausblicken erinnert sie an karibische Schönheit. Der perfekte Ort zum Seele-baumeln-Lassen, Entspannen, Träumen, Schwimmen, Surfen, Nichtstun. Und dann und wann in einem Ristorante authentische sardische Küche geniessen, etwa feinsten Fisch in Santa Margherita di Pula im Ristorante Bacchixeddu.

Gleichermassen paradiesisch ist die Region um Chia, am südlichsten Zipfel, mit wilder Natur, schmalen Sandbänken und Lagunenseen, wo auch rosa Flamingos heimisch geworden sind, wo sich ein goldgelber Strand an den nächsten reiht, bis zu 30 Meter hohe Dünen mit Buchten und Felsriffen tanzen und begeisterte Wassersportler den Wind geniessen. Herrlich verträumt ist auch die kleine Bucht von Tuerredda, der schneeweisse Strand Cala Piscinni oder die feinen Sandstrände bei Porto Tramatzu mit Blick auf die kleine Isola Rossa. Eine einzigartige, unberührte Naturoase im Südwesten ist die Costa Verde, die Grüne Küste, die mit bis zu 60 Meter hohen Sanddünen lockt, kilometerlange Traumstrände (etwa Gutturu ’e Flumini, Piscinas) werden imposant von Felsen eingerahmt.

Historischen Schätzen auf der Spur
Der Südwesten ist eng verbunden mit dem Bergbau. Bereits die Phönizier, Römer und Spanier hatten es auf den hiesigen Mineralienreichtum: Silber, Blei, Kupfer, Eisen und Kohle abgesehen; zwischen dem 19. und 20. Jahrhundert verwandelte sich die malerische Küste und das menschenleere Hügelland in eine typische Bergbaulandschaft: Kohle wurde in grossem Stil abgebaut, Erze geschürft – die Bergwerke um Iglesiente und Carbonia, einst eine der grössten Europas, mussten mangels Gewinn jedoch in den 1970er Jahren geschlossen werden. Was blieb, sind stumme Zeugen einer faszinierenden Industriegeschichte: Rund acht alte, stillgelegte Minenanlagen sind noch zu bestaunen. Nahe der bilderbuchschönen «Silberstadt » Iglesias liegen die Miniera Monteponi oder die Galleria Villamarinea. Ebenso faszinierend und unbedingt sehenswert ist das alte Kohlebergwerk Serbariu (von 1937 bis 1964 in Betrieb und einst eine der wichtigsten Energiequellen Italiens) in Carbonia – jene «Kohlestadt », die 1937 am Reissbrett entstand und heute modernes, lebendiges 30000 Einwohner zählendes Wirtschaftszentrum ist.

Monte Sirai bei Carbonia

Nur wenige Kilometer von Carbonia entfernt, locken weitere historische Schätze. Über den 4 Kilometer langen Strassendamm ist die bezaubernde Insel Sant’Antioco zu erreichen. Steile Felsklippen ragen Richtung Festland, während der Süden mit fantastischen Stränden und Badebuchten triumphiert. Die meisten kommen wegen des archäologischen Reichtums in den Hauptort Sant’Antioco: Prachtstück ist die Basilika Sant’Antioco, ein byzantinischer Kuppelbau, in deren in Fels gehauenen Katakomben die Gebeine des Märtyrers Antiochos, heutiger Schutzpatron Sardiniens, ruhen sollen. Am Rande der Altstadt liegt die faszinierende antike Stätte Sulki: mit rund 50 Felsengräbern der Nekropolis und dem Tophet, Kult- und Opferplatz der Phönizier. Weitere Highlights zur Geschichte: Museo Archeologica und Museo Etnografico (Infos, geführte Touren: www.archeotur.it). Übrigens, die besten Pizzas Sardiniens soll es in der Via Bologna geben, im Rubiu Brew Pub, mit hausgemachtem sardischem Bier. Vielleicht haben Sie noch Zeit, die kleinere beschauliche Inselschwester San Pietro zu besuchen, die berühmt für ihre Thunfischspezialitäten ist.

Geheimnisvolle Welt der Nuraghen
Die sanfte hügelige, endlos weite Landschaft der Marmilla mit vulkanischen Tafelbergen und leuchtend grünen Wiesen – eine Fortsetzung der Campidano – und ihren authentischen Hirtendörfern Barumini, Orroli, Villanovafrance wird gerne in einem Atemzug genannt mit der gewaltigen Festung Su Nuraxi, seit 1997 UNESCO-Welterbe. Jene geheimnisumwobene Kultur der Nuraghen, die in der Bronzezeit ihre Blüte erlebte, lässt sich hier auf einzigartige Weise erforschen: Auf über 1000 Quadratmeter erstreckt sich eine Bastion samt Dorf mit über 200 Rundhütten, Türmen, Wehrburg (Infos: www.fondazionebarumini.it). Fantastisch! Der eindrückliche Komplex gehört mit Arrubiu bei Orroli und Santu Antine, eine Wehranlage zwischen Macchiabüschen und Kornfeldern im herrlichen Valle dei Nuraghi im Nordwesten (www.nuraghesantuantine.it), zu den grössten bronzezeitlichen Festungen im westlichen Mittelmeerraum. Wer sich weiter auf nuraghische Spurensuche begeben möchte, besucht die unterirdischen Brunnenheiligtümer in Su Tempiesu bei Orune (Osten) oder Santa Cristina bei Paulilatino (Westen), die in handwerklicher Perfektion errichtet wurden.

Traumhafte Naturschauplätze
Über der Marmilla erstreckt sich das grandiose Naturreservat Giara di Gesturi. Die schier unendlich weite Hochebene, durchzogen von blühenden Zistrosen, Korkeichen, stillen Sumpfseen, erloschenen Vulkanen, Steinhäusern der Vorzeit und verwunschenen Pfaden, ist eine einzige Oase der Stille und Quelle der Kraft, man fühlt sich dem Himmel so nah. Rund 500 halbwilde Pferde streifen auf felsigem Boden umher, das Auto muss auf der Giara stehen bleiben. Wanderer sollten sich mit präziser Karte ausrüsten oder sich einem Guide anschliessen (Exkursionen: www.sajaramanna.it). Im Südwesten erheben sich der Iglesiente und das Sulcis-Gebirge – mit den herrlichen Eichenwäldern, Schluchten, Wildbächen und Wasserfällen zählt das grandiose Bergland zu den schönsten Wandergebieten Sardiniens. Die Liste der attraktiven Orte liesse sich noch lange fortsetzen… Freuen Sie sich auf die Insel. Entdecken Sie das Natur- und Kulturjuwel mit Musse und Zeit.

Übrigens, wussten Sie, dass es in Sardinien überdurchschnittlich viele Menschen gibt, die über hundert Jahre alt werden – und dazu noch gesund sind. Auf der magischen sonnenverwöhnten Insel scheint also das Geheimnis des langen Lebens zu liegen. Ein guter Grund, es dort selbst zu lüften…